Bilanzsaison

Die sogenannte Bilanzsaison ist eigentlich eher ein Begriff aus der Wirtschaftspresse, wenn nämlich zu bestimmten Stoßzeiten die Unternehmen allesamt ihre Zahlenwerke präsentieren. Momentan haben allerdings die Bilanzen auch in der Landespolitik wahre Hochkonjunktur.

Gestern legte sozusagen der Branchenprimus, sprich Schwarz-Grün mit seinen Vorstandsvorsitzenden Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir, sein Fazit nach einem Jahr Amtszeit vor, in den vergangenen Tagen haben bereits mehrere Mitbewerber und Interessenvertreter ihre Abrechnungen aufgezeigt.

Die fallen – wen überrascht es wirklich? – vollkommen unterschiedlich aus. Über die Bilanzen der jeweiligen Parteien wurde und wird an anderer Stelle ausführlich berichtet, darum hier nur die Kurzversion: Schwarz-Grün findet sich ganz toll, SPD, Linke und FDP finden Schwarz-Grün ganz schlecht. Dabei fallen die Einschätzungen teilweise sehr kurios aus. SPD und Linke finden die Politik der Landesregierung zu wenig bis gar nicht grün inspiriert, die FDP hingegen die Union bereits grün dominiert. Was denn nun?

Während die FDP Bouffier mit dem bekanntlich sehr rasch seine Meinung ändernden bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer vergleicht, denkt die SPD an die Queen. Schwarz-Grün komme ihm vor wie ein Schlafwagen, phantasiert Obergenosse Thorsten Schäfer-Gümbel. Seit einem Jahr zuckele das hessische Regierungsbähnlein ohne Dampf und Tempo durch Hessen. Dem Ministerpräsidenten und seinem Vize reiche es offenbar, wie Queen Elisabeth und Prinz Philip im Takt aus dem Fenster zu winken.

„Substanzarme Mäkelei“, kontert der Grünen-Vorsitzende Kai Klose, mangelnden Bezug zur Realität unterstellt er der versammelten Opposition im Landtag. Und die FDP, ja die verstünde sich ja ohnehin nur noch als Lobbypartei der Großkonzerne.

Apropos Konzerne, die Bewertungen der Wirtschaft zu einem Jahr Schwarz-Grün fallen auch recht gemischt aus. Hatte die Vereinigung hessischer Unternehmerverbände (VhU) noch ein insgesamt recht positives Fazit gezogen, sind da andere Arbeitgebergruppen weniger gnädig. So verkünden „Die jungen Unternehmer“ aus ihrem hessischen Landesverband: „Große Enttäuschung nach einem Jahr Schwarz-Grün.“ Das selbst ernannte „Forum für junge Familien- und Eigentümerunternehmer bis 40 Jahre“ stört sich vor allem an der anhaltenden Neuverschuldung und steuerlichen Nachteilen für Start-ups und Gründer.

Ha, die jungen Leute bis 40! Für die ist die CDU eben ohnehin zu geriatrisch und die einst hippen Grünen mittlerweile offenbar ebenso. Was mal wieder zeigt, dass das grüne Wählerklientel inzwischen aus saturierten, bourgeoisen Herrschaften besteht.

Dann gibt es noch einen Verband namens „Die Familienunternehmer“. Deren hessischer Ableger moniert, Schwarz-Grün habe den Fachkräftemangel verschlafen. Das wird Sozialminister Stefan Grüttner aber gar nicht gerne hören. Hat der doch gerade 127 000 Euro spendiert, um das „Welcomecenter“ in der Frankfurter Arbeitsagentur weiterzuführen. Und das soll – jetzt passen Sie bitte auf! – „internationale Fachkräfte unterstützen, die zu uns kommen“. Von wegen verschlafen, oder?

So ein „Welcomecenter“ könnte Volker Bouffier wohl auch am Samstag im Biebricher Schloss gebrauchen. Es könnte vielleicht helfen, den Ansturm von
500 närrischen Tollitäten zu bewältigen – der große Empfang der
Fastnachtsprinzessinnen und -prinzen aus ganz Hessen! Ja, Sie sehen,
nach der Bilanzsaison wechselt der Ministerpräsident direkt über in die närrische Saison. Regiert wird dann später auch mal wieder.

†††

Je suis Charlie!

 

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 14. Januar 2015

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

%d Bloggern gefällt das: