Kometenhafte Aufstiege

Was erleben wir da eigentlich gerade? Absetzbewegungen? Vetternwirtschaft? Karrieresprünge? Normale Beförderungen? Von allem wohl ein wenig, betrachtet man die Meldungen und Spekulationen, wer wohin wechseln soll im Politbetrieb.

Da Schwarz-Gelb gerade an der Macht ist, wechseln naturgemäß CDU- und FDP-Leute, was genauso naturgemäß die Oppositionsparteien empört. Ob das anders wäre, sollten die bei der nächsten Landtagswahl das Ruder übernehmen?

SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel hat diesbezüglich offenbar – so verbreitet es zumindest CDU-Fraktionsgeschäftsführer Holger Bellino – schon den entsprechenden Auftritt gewählt. Anlässlich des ersten zu nennenden Wechsels habe Schäfer-Gümbel bei der HELABA vorgesprochen und mit dem Hinweis, er sei der nächste Ministerpräsident, verlangt, vorerst einen freien Geschäftsführerposten beim landeseigenen Förderinstitut WIBank nicht zu besetzen.

Dorthin soll nämlich Gottfried Milde wechseln, Sohn des ehemaligen hessischen Innenministers Gottfried Milde. Milde Junior ist finanzpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion und gelernter Bankkaufmann. Abenteuerlich, schäumt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Günter Rudolph, Schwarz-Gelb verwechsele Hessen offenbar mit einem Selbstbedienungsladen. Milde verfüge unbestritten über die nötigen fachlichen Voraussetzungen für diese Position, das unterscheide ihn von anderen Nutznießern der in den vergangenen Wochen zu beobachtenden Operation Abendsonne der Regierungsfraktionen, befand immerhin der Grünen-Abgeordnete Kai Klose.

„Operation Abendsonne“? Das klingt ja geheimnisvoll. So wie Operation Desert Storm, oder so. Auf jeden Fall scheinen so viele Abendsonnen, dass schon Sonnencreme vonnöten ist.

„Operation Abendsonne geht weiter“, meldeten die Grünen zum Beispiel bei der Beförderung von Dirk Engel vom Landtagsbeamten zum Vize-Regierungssprecher. Einen „kometenhaften Aufstieg“ stellten die grünen Meteorologen beim FDP-Mann fest, inklusive eines Besoldungssprungs von A 15 über B 3 zu bald B 6.

Zuvor hatten sie die Abendsonne über einem Herrn aufgehen sehen, der eine Abteilungsleiterstelle in der Kanzlei des Landtags bekommen soll. Die Ausschreibung sei so verfasst, dass sich nur eine Person darauf bewerben könne, „die natürlich rein zufällig ein CDU-Parteibuch hat“, so der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Mathias Wagner.

Jetzt wieder zu einem FDP-Mann. Joachim Schmidt vom Amt für Lehrerbildung soll laut Frankfurter Rundschau dem höchst umstrittenen Landesschulamt vorstehen. Diese Behörde wurde auf exklusiven FDP-Wunsch geschaffen – wundert es uns da wirklich, wenn ein Liberaler den Vorsitz bekommt? Leider nein. Also, Sie ahnen es schon, wieder mal „Operation Abendsonne“ diagnostizieren die Grünen, die SPD konstatiert dreistes Postengeschacher vor der Wahl. Alle Posten die nicht niet- und nagelfest seien, würden noch schnell besetzt.

Und noch ein Liberaler auf dem Sprung. Der FDP-Abgeordnete Alexander Noll soll angeblich Vizepräsident des Landesrechnungshofs werden. Für diese hehre Aufgabe ist er allerdings derzeit noch gar nicht befähigt, weswegen er über einen Umweg erst noch für den höheren Dienst aufgehübscht werden soll.

Zum letzten Mal jetzt, versprochen liebe Leser, müssen Sie die Abendsonne aufgehen sehen: Ohne Rücksicht auf Eignung und Befähigung solle der FDPler offenbar eine der bestbezahlten Beamtenstellen bekommen, schimpft der Grüne Wagner. Und dies alles nur, weil in der FDP-Fraktion die Angst umgehe, dem nächsten Landtag nicht mehr anzugehören. Die SPD glaubt, die „Aktion Rette sich, wer kann“ bei der Landesregierung zu erkennen und nennt die Pläne zur Beförderung Nolls völlig absurd. Die Selbstbedienungsmentalität von Schwarz-Gelb kenne keine Grenzen, so Genosse Rudolph.

Da findet auch seine Fraktionskollegin Nancy Faeser noch eine Personalie erstaunlich und irritierend. CDU-Innenminister Boris Rhein hat Wilhelm Kanther zum Leiter des Projekts Neuausrichtung Verfassungsschutz ernannt. Den Sohn des früheren hessischen CDU-Chefs und Bundesinnenministers Manfred Kanther wollte Rhein eigentlich schon zum Chef der Rechtsabteilung in seinem Ministerium ernennen. Klappt aber auf Gerichtsbeschluss hin zunächst nicht, weil die Rechte eines Mitbewerbers möglicherweise missachtet wurden.

Die Grünen sehen dieses Mal kein Solarereignis, aber SPD-Frau Faeser warnt: Die Stelle darf nicht als reine Versorgungsstation für Polit-Buddies missbraucht werden.

So, sind jetzt alle versorgt? Scheint so. Aber noch ein Wort zu Boris Rhein. „Ist der Innenminister zum Außenminister aufgestiegen?“, fragt die Links-Fraktion. Afghanistan, Kosovo, Israel – dieses atemberaubende Tempo von Auslandsreisen könne selbst Guido Westerwelle nicht toppen.

 

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 21. November 2012

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

%d Bloggern gefällt das: