Berufserfahrung

Ob Gesetzentwurf, Vorschlag, Meinung oder Kritik die Position des jeweiligen politischen Gegners wird in Hessen stets in geradezu ritualisierter Form verdammt. Oft in einem Tonfall, der einen gelegentlich zweifeln lässt, ob da wirklich vernunftbegabte Erwachsene reden oder reden lassen. Hessen, das härteste Parlament in Deutschland, dröhnt hierzulande so manch politischer Krawallbruder und ist auch noch stolz drauf. Entsprechend haarsträubend lesen sich dann auch regelmäßig die Aussendungen aus dem Politbetrieb.

„Die Pressemitteilungen der Parteien erinnern an Flugblätter, in denen man um die treffendere Beleidigung wetteifert“, hat sogar der Beobachter der fernen Süddeutschen Zeitung beim Blick nach Hessen notiert. In diesem Wetteifer stehen sich alle Parteien und/oder Fraktionen in nichts nach, trotzdem will ich Ihnen hier mal zwei besonders perfide Beispiele zeigen, die noch eine Spitze auf das übliche Geschehen draufsetzen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Holger Bellino, hat sich jüngst zwei Grünen-Abgeordnete unter ganz besonderem Blickwinkel vorgeknöpft. Als der Grüne Daniel May bemängelte, dass das Wissenschaftsministerium seiner Ansicht nach nicht schnell genug Akten für den Untersuchungsausschuss rund um die öffentliche Finanzierung der European Business School (EBS) liefert, wies Bellino dies höchst empört zurück. Normal soweit, aber dann: „Frisch von der Hochschulausbildung weg ins Parlament versucht sich das Greenhorn May auf Kosten der Mitarbeiter in der Verwaltung zu profilieren.(. . .) Wenn jetzt ein Abgeordneter wie Herr May ohne jegliche Berufs- und Verwaltungserfahrung die Mitarbeiter der Ministerien und Behörden öffentlich unter Zeitdruck setzt, grenzt dies an Anstiftung zum Rechtsbruch.“

Oha, die Haltung des Jungabgeordneten May (32) zu kritisieren, steht Bellini sicher zu, ihn aber wegen fehlender Berufserfahrung außerhalb des Landtags zu verunglimpfen, ist wohl doch ziemlich daneben. Wie lautet sonst das stete Wehklagen allenthalben? Die jungen Leute interessieren sich ja nicht mehr für Politik!

Wenn also mehr Engagement in diese Richtung erwünscht ist, muss man solche Biografien akzeptieren, die direkt vom Hör- in den Plenarsaal führen. Letztlich macht die Mischung aus allen Lebenslagen die Qualität einer Fraktion oder auch eines ganzen Landtages aus.

Bei den Grünen gibt es gleich mehrere solcher Kandidaten. Den Fraktionsvorsitzenden Tarek Al-Wazir beispielsweise oder auch Bellinos direkten Kollegen im Geschäftsführer-Amt, Mathias Wagner. Als der 38-Jährige verblüffende Karrieresprünge von Regierungsmitarbeitern geißelte, hieb Bellino erneut in die gleiche Kerbe: „Wer aber wie der grüne Wagner kaum über berufliche Erfahrung außerhalb des politischen Lebens verfügt, hat davon natürlich keine Ahnung.“

Gut, dass bei der CDU ja alles besser ist. Oder nicht? Bellino selbst ist über jeden Verdacht erhaben, der war mal Zahnpasta-Manager. Aber Jan Schneider beispielsweise. 32 Jahre alt wie Greenhorn May, hat studiert (Jura) und war dann kurz Beamter im Innenministerium. Weil er seinen Frankfurter Landtagswahlkreis zugunsten von Innenminister Boris Rhein aufgeben muss, wird er jetzt mit einem Dezernentenposten im Frankfurter Römer abgefunden. Ein Dezernat übrigens, von dem der aktuelle Amtsinhaber Volker Stein von der FDP sagt, es gehöre mangels ausreichender Aufgaben ganz abgeschafft, um Geld zu sparen.

Was für ein Aufstieg, und dabei verfügt Schneider aufgemerkt, Herr Bellino, ich zitiere , kaum über berufliche Erfahrung außerhalb des politischen Lebens.

 

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 27. März 2013

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