Im Paralleluniversum

„Hintern hoch und die freie Gesellschaft verteidigen“, lautete der deftige Appell des Grünen-Wahlkämpfers Tarek Al-Wazir zwei Tage vor der Bundestagswahl. Nun, den Hintern hochbekommen haben erfreulich viele Menschen, die Wahlbeteiligung lag bundesweit bei 76,2 Prozent, 2013 waren es nur 71,5 Prozent. Nach Al-Wazirs verbalem Tritt in den Allerwertesten gaben in Hessen sogar 77 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Auch hier deutlich mehr als beim vorangegangen Urnengang. Gut gemacht, Ihr Mut- und Wutbürger!

Das hat also schon mal geklappt. Mit dem Verteidigen der „freien Gesellschaft“ hat es aus grüner – und auch vieler anderer – Sicht allerdings wohl nicht ganz so funktioniert wie gewünscht: Die AfD ist mit knapp 13 Prozent in den Bundestag eingezogen – zum großen Schrecken aller im Landtag vertretenen Parteien.
CDU-Generalsekretär Manfred Pentz bezeichnet die Funktionäre der AfD als „rückwärtsgewandte alte Männer“ mit teilweise rassistischem Hintergrund. Diese Analyse stimmt natürlich nicht so ganz. Alice Weidel, Beatrix von Storch und – bis gestern zumindest – Frauke Petry sind doch ganz offenkundig Frauen, oder?

Auch eine weitere Bewertung von Pentz ist problematisch: Er sieht trotz starker Verluste seiner Union und der Gewinne der AfD keinen besonderen Handlungsbedarf für seine Partei. Für Hessen hätten das Bundestagswahlergebnis und die eigenen Stimmverluste keine Bewandtnis. Offensichtlich seien Herr Pentz und seine Parteifreunde am Montagmorgen in einem ganz eigenen Paralleluniversum aufgewacht, kommentiert die SPD-Generalsekretärin Nancy Faeser und sucht dieses bislang vergeblich am Himmelszelt.

In ein solches scheint wohl auch der CDU-Landesvorsitzende Volker Bouffier gelegentlich zu wechseln. In Hessen regiert er als Ministerpräsident geräuschlos ein schwarz-grünes Regierungsbündnis und kümmert sich rührend um die Minister und Abgeordneten des grünen Partners. Von seinen Leuten wird er gar als „Kleine-Parteien-Versteher“ gepriesen. Als CDU-Bundesvize macht er jetzt hingegen auf dicke Hose. Eine Jamaika-Koalition im Bund funktioniere nur, „wenn die mit Abstand stärkste Kraft, die Union, das bestimmende Element ist und wenn die anderen Partner wissen, dass sie nicht die Bestimmer sein können“, verkündete er gestern nassforsch per Zeitungsinterview.

Hört, hört! Gar nicht gern hörten das die hiesigen Grünen, die sich damit plötzlich wie zu Statisten degradiert vorkommen müssen. Der Widerspruch kam prompt. Zielführende Gespräche setzen Augenhöhe voraus, erklären die beiden Landesvorsitzenden Daniela Wagner und Kai Klose trotzig. „Gerade Hessen ist ja ein gutes Beispiel dafür: Wir sind seit drei Jahren deshalb als Koalition gemeinsam erfolgreich, weil wir als gleichberechtigte Partner vertrauensvoll miteinander umgehen.“

Gleichberechtigte Partner hier, Bestimmer dort – Paralleluniversen, ganz offensichtlich. Ob dieser Welten-Wechsel Bouffiers erfolgversprechend ist? Zumindest zeugt das auf den ersten Blick nicht unbedingt von „Verhandlungsgeschick und Empathie“, just diesen Eigenschaften, die Generalsekretär Pentz seinem Boss am Montag attestierte und ihn deswegen für die heiklen Jamaika-Verhandlungen im Bund empfahl.

 

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 27. September 2017

Kommentar verfassen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..