Peinliche Piraten

Da haben wir’s schon, gleich die Premiere ging in die Hose. Gerade erst hatte der Ältestenrat des Landtags beschlossen, dass nicht nur Abgeordnete Kurzmeldungen über den Nachrichtendienst Twitter via Handy absetzen dürfen, sondern künftig auch Besucher auf der Landtagstribüne. Allerdings nicht ohne die in der Nachbetrachtung geradezu prophetische Warnung des CDU-Fraktionsgeschäftsführers Holger Bellino, er erwarte auch von den Besuchern einen verantwortungsvollen Umgang mit den neuen Kommunikationsmöglichkeiten, die der Würde des Parlamentes angemessen sind.

Und dann das: Die ersten Piraten zogen vergangene Woche in den Landtag ein – bislang nur auf die Zuschauerbänke. Was den früheren Freibeutern die Flagge mit dem Totenkopf, sind den heutigen Seeräubern die Smartphones, die dann sofort zum Einsatz kamen. Mit verheerenden Folgen, allerdings was soll man von einer Partei ohne Programm auch anderes erwarten? Während einer Abstimmung ließ nun also einer der Piraten folgenden Tweet ab: „Wahlen sind langweilig. Ich geh lieber kacken.“

Wollten wir das wissen? Würde des Parlaments? Da freuen wir uns ja schon auf die qualifizierten Beiträge, sollten sich die letzten Hessen-Trends bewahrheiten, die der Piraten-Partei sechs Prozent voraussagen.

Andererseits, wie sollen es denn die Politnovizen anders lernen, wenn es die Partei-Urgesteine vorleben? Rainer Brüderle zum Beispiel, vom Weinköniginnen-Küsser zum mutmaßlichen Parteivorsitzenden-Meuchler mutiert, ließ sich am Wochenende vor der Hessen-FDP wie folgt aus: „Die Experten, die meinten, die FDP sei schon am Ende, das sind die Klugscheißer!“ Allerdings war das auf einem Parteitag, nicht im Parlament, da darf man ja auch mal richtig auf die Kacke hauen. Ups, jetzt fange ich auch schon an, jetzt ist aber Schluss mit der Fäkalsprache!

Nicht die Flagge mit dem Totenkopf, sondern die mit dem Hessen-Löwen übergab Ministerpräsident Volker Bouffier beim Abend des Sports im Landtag an Christian Reitz. Der Sportschütze der hessischen Bereitschaftspolizei, der bald bei den Olympischen Spielen in London anlegt, möge die Fahne doch bei einer Ehrenrunde durchs Stadion tragen, wünschte sich der Landesvater. Ob das die verkniffenen Olympia-Funktionäre dulden?

Nebendran stand unser Innen- und damit auch Sportminister Boris Rhein und grinste hinter seiner großen schwarzen Brille hervor. Ob zu diesem Zeitpunkt mit oder ohne Alkohol intus (es gab Bier und Wein), ist nicht bekannt.

Tatsache ist aber, dass Rhein eine sehr gespaltene Sichtweise zum Thema Spirituosen hat. Die SPD will nämlich zur allgemeinen Sicherheit ein nächtliches Verkaufsverbot für Alkohol zwischen 22 und 6 Uhr erreichen. Zunächst Zustimmung aus dem Innenministerium: „Aus polizeilicher Sicht werde dies als Ergänzung der Maßnahmen zur Reduzierung des Alkoholmissbrauchs und zur Intensivierung des Jugendschutzes und der Kriminalprävention befürwortet.“ Alles klar, oder?

Nein! Kurz darauf wurde Rhein offenbar erst bewusst, dass er ja CDU-Mann ist, und ließ plötzlich mitteilen, dass der SPD-Vorschlag nicht zielführend sei.

Um diese Logik zu verstehen, bedarf es wohl einiger geistiger Getränke. Ich versuch’s am besten gleich mal. Prost!

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 16. Mai 2012  

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