Wenn man jahrelang in der Hessen-Redaktion arbeitet, glaubt man ja wirklich irgendwann, Rhein und Main seien die wichtigsten Flüsse der Welt. Da tut es ganz gut, mal den Horizont zu erweitern. Also war ich am Nil. Nur zur Kenntnis, falls Sie mich vorige Woche an dieser Stelle vermisst haben sollten.
Und was soll ich sagen, ist schon alles irgendwie – na ja, anders und größer. Der Nil ist fast vier Mal so lang wie Rhein und Main zusammen. Zieht man mit dem Ausflugsboot auf dem Rhein entlang, gleitet man an Burgen und Weinbergen vorbei. Am Nil sind es Sandberge und Palmen, Palmen und Sandberge, Sandberge und Palmen. Was das Biebricher Schloss am hiesigen Ufer ist, ist dort der Tempel von Kom Ombo. Dort liegen mumifizierte Krokodile, im Schlosspark fliegen quicklebendige Papageien.
Und der Assuan-Staudamm, tja, mit dem kann die nordhessische Edertalsperre auch nicht so wirklich mithalten. Eine Gemeinsamkeit gibt es doch. Für beide Bauwerke wurden viele Menschen umgesiedelt und Dörfer geflutet. Die strahlende Sonne am blauen Himmel mit dem hiesigen Novemberregen vergleichen muss ich jetzt nicht, oder? Aber jetzt fange ich wohl an, Sie langsam zu nerven, was? Jaja, der Nil, der heilige Fluss, lässt einen schon seltsame Dinge tun.
Aber in einem ist Hessen dem Land am Nil voraus. Hierher wollen laut Statistischem Landesamt jedes Jahr mehr Touristen reisen. Nach Ägypten dagegen in den vergangenen Jahren eher weniger. Mal ganz vorsichtig ausgedrückt. Sie wissen schon, die 2011er Revolution, die Muslimbrüder, islamistische Milizen auf dem Sinai und all das.
In Hessen hingegen sind Volksaufstand und Umsturz im Zuge der letzten Landtagswahl ausgeblieben. Mubarak sitzt im Knast, Pharao Volker Bouffier hingegen weiter auf dem Thron zu Wiesbaden. Die schwarz-grüne Revolution Ende vergangenen Jahres hat er bekanntlich bestens überstanden. Er nahm sich Tarek Al-Wazir als Großwesir an seine Seite und regiert das Land an Rhein und Main nun gütiger und weiser als je zuvor. Oder so ähnlich.
Aber auch andernorts geschehen seltsame Dinge. Im fernen Brüssel – lediglich an einem winzigen Flüsschen namens Senne gelegen, schlappe 100 Kilometer lang, haha – wollte man doch tatsächlich den hessischen Bembel verbieten. Den Bembel! Ja, der selige Heinz Schenk im Himmel steh uns bei! Ein unerhörter Angriff auf einen unumstößlichen Bestandteil der heiligen hessischen Dreifaltigkeit bestehend aus Bembel, Blauer Bock und Badesalz. Also ehrlich, immer diese Ikonoklaster von der EU!
Was war passiert? Die Bundesregierung hatte sich angeschickt, eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen, wonach künftig ein innen liegender Eichstrich in Ton- und Keramikgefäßen zu finden sein müsse. Auf dass der Verbraucher auf den ersten Blick erkennen möge, ob der Wirt den Bembel auch korrekt befüllt habe.
Löblich, löblich, nur lässt sich angeblich ein solch inwendiger Strich technisch nicht in derlei Krügen anbringen. Und außen nützt er nicht so viel, da der Pott ja undurchsichtig ist.
Aber wir haben ja zum Glück unsere traditionsbewussten Grünen, die neuen Konservativen. Wirtschaftsminister Al-Wazir und seine rheinland-pfälzische Amtskollegin Eveline Lemke, die um den dortigen „Viezporz“ bangte, haben im Bundesrat mal so richtig auf den Tisch gehauen.
Mit Erfolg. Die geplante Änderung der Mess- und Eichverordnung stelle die „traditionellen Apfelwein-Gefäße“ nicht in Frage, versicherte die Bundesregierung eilig. Und die EU will es schon gar nicht gewesen sein. Das EU-Recht ziele in keiner Weise darauf ab, den Gebrauch von Bembel und Co. in Gaststätten zu regeln, beschwichtigte die Vertretung der EU-Kommission in Deutschland.
Wissen Sie was? Diese Aufregung an Rhein und Main hätte am Nil niemanden, nicht einmal ein Palmenblatt, erschüttert. Dort gibt es keinen Bembel, keinen Apfelwein und schon gar keine Eichmarke.
Stattdessen Sonnendeck und Gin Tonic – garantiert ohne Eichstrich.
Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 19. November 2014