Nichts zu sehen in Kassel

Ich war auf der Documenta. Nachdem die meisten Polit-Größen Hessens der mutmaßlich weltweit bedeutendsten Ausstellung für zeitgenössische Kunst schon ihre Aufwartung gemacht hatten, war es nun auch für eine Abordnung der Landespressekonferenz an der Zeit nach Kassel zu reisen. Die seltsame Frau, die das Spektakel als Kuratorin leitet, die ein Wahlrecht für Hunde und Erdbeeren gefordert und schnell den Spitznamen „Lady Gaga des Kunstbetriebs“ weg hatte, habe ich leider nicht getroffen. Kurioses habe ich aber trotzdem gesehen.

Oder vielmehr nicht gesehen. Zunächst mal die imaginäre Pyramide, die sich über dem Kasseler Friedrichsplatz spannen soll, wie die tapfere Führerin zu überzeugen versucht. Nebenbei bemerkt, die Führerin will gar keine solche sein, sondern eine Begleiterin, ein Worldly Companion. Auch der frühere Kasseler Oberbürgermeister, hessische Ministerpräsident und Bundesfinanzminister Hans Eichel bringt seine enorme Expertise als ein solch „Weltgewandter Begleiter“ ein.

Wie auch immer, die Pyramide habe ich also schon mal nicht gesehen, weil sie ja nur eine gedachte sein soll. Auch nicht gesehen habe ich den Meteoriten, der auf einem Sockel auf dem Platz hätte stehen sollen, aber dann doch nicht vom Absturzort in Südamerika nach Nordhessen kam, weil die dortige Urbevölkerung ihren spirituellen Stein nicht auf die weite Reise schicken wollte. Die Distanz dürfte den Brocken allerdings kaum geschockt haben, kam er doch schon aus der unendlichen Weite des Alls.

Im ersten Raum, vielmehr einer großen Halle: Nichts außer kaltem, zugigem Wind. Weswegen das Kunstwerk naturgemäß The Wind heißt. Nur eine kleine Vitrine steht dort, in dem der Brief ausliegt, in dem ein zur Documenta geladener Künstler erläutert, warum er nicht teilnimmt. Im Nebenraum: Auch nichts zu sehen, nur eine Liedzeile in Endlosschleife ist zu hören.

Im Park: Das Kunstwerk „Doing Nothing Garden“. Nun gab es da nicht wirklich nichts zu sehen, aber Bauschutt und Abfall mit Unkraut überwuchert ist auch irgendwie nichts.

Da verwundert es natürlich auch nicht, wenn unsere Kunstministerin Eva Kühne-Hörmann die Forderung nach mehr Geld für die Documenta kurz vor deren Eröffnung schroff abgelehnt hat. „Debatte zur Unzeit“, wischte sie das Ansinnen vom Tisch: 12,3 Millionen Euro aus der öffentlichen Hand seien genug. Diese Summe könnte tatsächlich ausreichen, wenn man nichts ausstellt . . .

Und wenn nur eine Liedzeile abgespielt wird, obgleich auch unaufhörlich, dürften auch die GEMA-Gebühren nicht allzu hoch liegen. Die geplante Gebührenerhöhung für das Abspielen von Musik in der Öffentlichkeit erhitzt ja derzeit dermaßen die Gemüter, dass unser Wirtschaftsminister Florian Rentsch wie an dieser Stelle bereits angekündigt am Freitag um fünf vor zwölf in eine Wiesbadener Disco gestürzt ist, um zu verkünden es sei fünf vor zwölf. Also jetzt nicht im Sinne eines Hinweises auf die Uhrzeit, sondern als Warnung: für Betriebe und Arbeitsplätze. „Kein Tanz der Gebühren“, warnte der besorgte Wirtschaftsliberale.

Tanz der Gebühren – wäre das nicht auch ein schöner Titel für ein Documenta-Kunstwerk?

Zur Ehrenrettung der Documenta muss ich am Ende aber doch noch anmerken, dass es da nicht nur Nichts, sondern selbstverständlich auch viele tolle Kunstwerke zu sehen gibt. Viel zu sehen gibt es im übrigen auch am Tag der offenen Tür am Samstag und Sonntag im Wiesbadener Landtag. Nicht so weit weg wie Kassel und lohnt sich auch!

 

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 29. August 2012

 

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