Mehr Respekt, bitte!

Jetzt zeigen Sie doch bitte mal etwas Respekt, liebe Leser! Ja, vor was denn, fragen Sie nun möglicherweise? Was weiß ich, vor allem und jedem am besten. Das muss ich jedenfalls aus der neuesten Kampagne der schwarz-grünen Landesregierung schließen. Denn Ministerpräsident Volker Bouffier und sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir haben 2017 zum „Jahr des Respekts“ ausgerufen. Und das gilt es doch zu respektieren. Denn Respekt vor der Landesregierung ist wohl selbstverständlich, schließlich ist sie vom Volk gewählt, oder?

Die Duldsamkeit kann dabei aber durchaus bis an die Schmerzgrenze strapaziert werden, denn vielerorts wird ja nun gefordert, sogar Respekt vor der Entscheidung des US-amerikanischen Volkes zu haben, Donald Trump zu seinem Präsidenten gewählt zu haben. Wobei, so könnte ich jetzt bei allem schuldigen Respekt einwenden, den aufbrausenden Herren ja gar nicht die Mehrheit der Amis gewählt hat, sondern nur die Mehrheit der Wahlmänner. Aber das wäre wohl respektlos.

So, zurück nach Hessen und zu Bouffier und Al-Wazir. Die beiden zeigen, wie es gehen muss. Der CDU-Mann und der Grüne, jahrelang in inniger Feindschaft miteinander verbunden und im Landtag meist wenig respektvoll miteinander umgegangen, haben mittlerweile höchsten Respekt voreinander. Sie leben quasi das Motto der Regierungskampagne vor: „Hessen lebt Respekt“.

Damit will Schwarz-Grün nach eigenem Bekunden werben „für Toleranz und Hilfsbereitschaft im Alltag, Rücksichtnahme im Verkehr, Fairness im Sport, Respekt in den sozialen Medien, vor Polizei, Rettungskräften und Ehrenamtlichen und bei der Integration von Flüchtlingen“. Ich sagte ja bereits, Respekt vor allem und jedem!

Dafür werden dann „Orte des Respekts“ gefördert, „Menschen des Respekts“ ausgezeichnet und „Respekt im Sport als ein Baustein in die Aus- und Fortbildung von Trainern, Übungsleitern und Aktiven einbezogen“. Also, keine Blutgrätsche und keine abfälligen Bemerkungen über Mutter und Schwester des Gegenübers auf dem Spielfeld, wenn ich bitten darf!

Jetzt frage ich mit allem gebotenem Respekt aber doch einmal: Steht es so schlecht um uns, ist das alles nötig? Offenbar ja, meint der Ministerpräsident und spricht: „Wir beobachten eine zunehmende Rücksichtslosigkeit im Alltag, ein rauer werdendes Klima in der öffentlichen Debatte bis hin zu Enthemmung und Hass, extreme Einstellungen und eine wachsende Gewaltbereitschaft. Respektlosigkeit ist der Anfang dieses Übels, dem wir uns entschieden mit unserer Haltung, mit unserer Politik und mit dieser Kampagne entgegenstellen wollen.“ Uff. So schlimm?

Respekt meine aber nicht „das sture Einhalten von Regeln und schon gar nicht preußischen Obrigkeitsgehorsam“, beruhigt glücklicherweise der Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, Mathias Wagner, denn so langsam weiß ich vor so viel Respektzollerei gar nicht mehr, was ich überhaupt hier noch schreiben darf. Nein, sagt Wagner, vielmehr sei „die Fähigkeit, die Welt mit den Augen anderer zu sehen“ gemeint. Na, das tue ich doch gerne. War kürzlich sogar erstmals in einem 3D-Kinofilm.

Haben Sie mal gezählt, liebe Leser, wie oft das Wort „Respekt“ in dieser Kolumne gefallen ist? Sehr oft. Denn aus Respekt vor dem Respekt habe ich auf Synonyme dafür komplett verzichtet. Mein kleiner Beitrag zum „Jahr des Respekts“.

 

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 15. Februar 2017

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