Wenn Sie jetzt glauben, liebe Leser, an dieser Stelle könnten Sie dieser allgegenwärtigen Transe namens Conchita Wurst entfliehen, dann haben Sie sich aber getäuscht. Auch hier geht es um die Wurst. Oder muss es heißen um den Wurst? Immerhin heißt die Wurst ja offiziell Thomas mit Vornamen. Wie auch immer, die Landesregierung hat natürlich ebenfalls Anteil genommen am Triumph dieses österreichischen Mischwesens im Sangeswettbewerb in Kopenhagen.
So nannte Staatssekretär Jo Dreiseitel von den Grünen den Sieg „des Travestie-Künstlers Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest ein starkes Statement gegen Diskriminierung“. Dieser Erfolg zeige, dass Europa auf dem Weg zu Toleranz und Respekt schon sehr weit gekommen sei. Nun ja, ein Stück weit vielleicht, aber definitiv noch nicht bis Moskau, wo der Politiker Witali Milonow den Sieg der bärtigen Wurst mit der Verwünschung „Euro-Homos schmort in der Hölle!“ verfluchte.
Dieser Herr ist wohl einer derjenigen, auf den der „Internationale Tag gegen Homo- und Transphobie“ abzielt, der am kommenden Samstag begangen wird. Wäre Conchita Wurst nicht schon wieder zurück in ihrer Heimatstadt Wien, könnte sie/er zu diesem Anlass wunderbar am „Spaziergang gegen Homophobie“ in Frankfurt teilnehmen, zu dem die Grünen einladen.
Vorneweg wieder Jo Dreiseitel, der ja passenderweise den Titel „Bevollmächtigter für Integration und Antidiskriminierung“ der Landesregierung trägt. Nach der Lustwandelei am Main fahren Dreiseitel und die Grünen-Landesvorsitzende Daniela Wagner später nach Darmstadt, um am „Kiss-In gegen Homophobie“ teilzunehmen. Der Ko-Landesvorsitzende Kai Klose ist zeitgleich bei der „Luftballonaktion von ,Warmes Wiesbaden‘“ am Schlossplatz zugegen.
Bärtige Transen, „Kiss-In“, „Warmes Wiesbaden“ – wissen Sie was, liebe Leser, manchmal überlege ich, ob ich als Hetero ein kompletter Spießer bin? Na, immerhin wünscht mich der Russe von vorhin nicht als „Euro-Homo“ in die Hölle…
Der europäische Sängerwettstreit ist also seit dem Wochenende entschieden, jetzt müssen wir nur noch die Europawahl am übernächsten Sonntag hinter uns bringen. Die Wahllokale werden dazu im übrigen wie immer von 8 bis 18 Uhr geöffnet sein – und nicht wie die SPD-Mitteilung argwöhnen lässt „Europa nur im Nachtprogramm“. Nein, da geht es dem SPD-Bezirksvorsitzenden Hessen-Süd, Gernot Grumbach, um etwas ganz anderes. Am heutigen Abend diskutieren nämlich im Hessischen Rundfunk die hessischen Kandidaten für das EU-Parlament der fünf im Landtag vertretenen Parteien. Und Grumbach grummelt, dass diese fulminante Talk-Runde erst von 22.45 Uhr an im hr-Fernsehen übertragen wird. „Wir hätten uns eine attraktive Sendezeit für die Europawahl gewünscht, um möglichst viele Menschen zu erreichen“, zürnt der Grimbart und ängstigt sich: „Bekommt Hessen von der Sendung überhaupt etwas mit?“
Ach, du meine Güte! Ja, und wenn schon, wenn die Hessen von der Quasselrunde wirklich nichts mitbekommen würden, täte es tatsächlich jemanden scheren? Nachdem schon das „TV-Duell“ der EU-Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker und Martin Schulz in der spannenden Frage gipfelte, ob die Herren nun 59 oder 58 Jahre alt sind?
Jean-Claude Juncker, früher gerne auch als „Mister Euro“ bezeichnet, war zumindest am vergangenen Wochenende schon mal in Hessen: auf dem CDU-Landesparteitag in Rotenburg an der Fulda. Dort ließ sich der alte Charmeur zu dem Satz hinreißen: „Wer Florenz gesehen hat, Rotenburg aber nicht, hat ein wichtiges Stück Europa verpasst.“
Also nichts gegen das wunderbare Rotenburg an der Fulda, aber das ist dann doch etwas arg geschmeichelt. Florenz, das ist die „Wiege der Renaissance“, das „italienische Athen“, Sitz der Dynastie der Medici, Wirkungsstätte von Leonardo da Vinci, Michelangelo und Galileo Galilei.
Und Rotenburg? Hat Armin Meiwes, den „Kannibalen von Rotenburg“. Zumindest ist der auch europaweit bekannt.
Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 14. Mai 2014