Wettmelker und WM-Fahrer

Der gerade beendete Hessentag wird ein Nachspiel haben. Gut, das hat er eigentlich jedes Jahr – wenn einige Wochen nach dem Spektakel die Ausrichterkommune Eins und Eins zusammengezählt hat und das amtliche Millionendefizit verkündet.

Aber diesmal geht es um mehr, um weit mehr! Nämlich um das traditionelle Wettmelken auf dem Hessentag und warum in diesem Jahr in Bensheim kein Mitglied der schwarz-grünen Landesregierung der Holzkuh „Hessica“ ans Euter gefasst hat. Ein Skandal, eine gröbliche Missachtung eines Kräftemessens, das schon fast im Range eines hessischen Kulturguts steht! Unbestätigten Gerüchten zufolge hat es der zuständige Wissenschaftsminister Boris Rhein bereits auf die Vorschlagsliste zum Unesco-Welterbe setzen lassen.

Also hat der SPD-Abgeordnete Marius Weiß unter der Landtagsdrucksache 19/541 doch tatsächlich eine sogenannte Kleine Anfrage „betreffend Teilnahme der Landesregierung an Wettmelken auf dem Hessentag“ eingereicht. Wer die Landesregierung auf den Hessentag von 2009 bis 2013 bei diesem Wettstreit vertreten hat, mit welchem Erfolg und wo sich im Falle eines Sieges der als Preis ausgelobte „Goldene Melkschemel“ befindet, will Weiß wissen.

Der Oppositionspolitiker argwöhnt sogar, es finde möglicherweise ein folgenschwerer Wertewandel statt: „Kann aus der Nicht-Teilnahme 2014 geschlossen werden, dass Wettmelken unter dem nun von Bündnis 90/Die Grünen geführten Landwirtschaftsministerium einen geringeren Stellenwert genießt, als unter der Vorgängerregierung?“

Weiß weiß das weiße Gold offenbar zu schätzen, die Grünen etwa nicht? Und was war denn mit der Vorgängerregierung? „Kann aus der Nichtteilnahme 2014 geschlossen werden, dass die Landesregierung die vorjährigen Melkleistungen des Staatssekretärs Weinmeister nicht zufriedenstellend fand?“, fragt der Sozi süffisant.

Das wohl mitnichten. Der Christdemokrat Mark Weinmeister, seinerzeit Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, hat’s nämlich nicht nur mit Wein, sondern auch mit Milch: 2010 in Stadtallendorf und 2012 in Wetzlar kam, sah und siegte er beim Hessentags-Wettmelken. Und 2013 wurde er in Kassel immerhin Zweiter. Mit mehr als 300 Millilitern abgezapfter Milch, wie ein Blick in die Archive zeigt.

Nur beim seinem ersten Versuch am künstlichen Euter 2009 in Langenselbold musste Weinmeister Lehrgeld zahlen. Da quetschte der Guxhagener Gymnasiallehrer nur 120 Milliliter heraus. „Das war meine erste Euter-Erfahrung“, verteidigte sich der Staatssekretär damals, „ich habe den Kniff nicht raus bekommen, das ist ausbaufähig“. Stimmt, wie die Erfolge der späteren Jahre gezeigt haben!

Inzwischen ist er aber seiner damaligen Ministerin Lucia Puttrich in gleicher Funktion ins Ressort Bundesangelegenheiten und Europa gefolgt. Da gibt es auch was zu melken: keine Milch, sondern die Fördertöpfe der EU!

Also, Herr Weinmeister, für die Ehre der Landesregierung beim nächsten Hessentag: Zurück an die Zitzen!

Zurück im Wiesbadener Landtag ist mittlerweile Innenminister Peter Beuth, den es vorige Woche ganz plötzlich zu einer ganz wichtigen Dienstreise nach Brasilien verschlagen hatte. Nach Brasilien! Sie glauben ganz richtig, liebe Leser, wenn Sie glauben, was jetzt wohl alle erstmal glauben: Ja, Beuth war beim Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Ghana! Und zwar ganz offiziell „in seiner Funktion als Vorsitzender der deutschen Sportministerkonferenz“, wie sein Ministerium uns wissen lässt. Und dann gab es dort noch „Gespräche rund um das Thema Sicherheit und Sport“.

Jaja, schon klar. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ja auch vor dem Besuch des ersten Spiels der deutschen Kicker gegen Portugal am Vorabend ein wichtiges „Arbeitsessen“ mit Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff . . .

 

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 25. Juni 2014

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