Wer führt das Land?

Ist Hessen derzeit eigentlich führungslos? Na, das wäre ja was! Die Oppositionsparteien würden diese Frage ohnehin reflexhaft mit Ja beantworten, mir geht es aber um etwas ganz anderes: Der Ministerpräsident ist momentan in Urlaub und der stellvertretende Ministerpräsident ebenfalls. Kein Chef im Haus, oder was? Während Volker Bouffier im hohen Norden Europas per Schiff Norwegen und Island bereist, lässt sich sein Stellvertreter, Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir von den Grünen, im Süden die Sonne Griechenlands auf den Pelz scheinen. Auch wenn sich die neuen Koalitionäre inzwischen lieb gewonnen haben und duzen, gemeinsam in Urlaub fahren sie noch nicht. So wie weiland Roland Koch und Jörg-Uwe Hahn. Kennen Sie die noch?

Aber zurück zu der Frage, wer denn bloß die Regierungsgeschäfte führt. „Beide sind grundsätzlich erreichbar“, beruhigt die stellvertretende Regierungssprecherin Elke Cezanne (der Ober-Regierungssprecher ist ebenfalls in Urlaub) im Hinblick auf Bouffier und Al-Wazir. Das ist ja löblich, aber wenn nun plötzlich, sagen wir mal Barack Obama warum auch immer auf dem US-Airport in Erbenheim landete, wer aus den Reihen der Landesregierung würde dann den amerikanischen Präsidenten begrüßen?

Zum Glück regelt all dies das sogenannte Protokoll. Laut Kabinettsbeschluss vom 18. Januar, so klärt Cezanne auf, vertritt Sozialminister Stefan Grüttner derzeit die beiden urlaubenden Regierungschefs. Aha! Jetzt nicht deswegen, weil der Sozialminister wichtiger wäre als beispielsweise der Finanz- oder der Innenminister. Nein, es entscheiden die Dienstjahre als Minister. Und wenn die gleich sind mit denen eines anderen Ressortchefs, dann gibt das Lebensalter den Ausschlag. Da liegt Grüttner natürlich weit vorne. Seit 2003 ist der Offenbacher bereits Minister in Hessen: zunächst als Chef der Staatskanzlei, dann als Sozialminister.

Sorgenfrei in den Urlaub dank Grüttner könnte es also für Bouffier und Al-Wazir heißen – in Anlehnung an eine Pressemitteilung von Europaministerin Lucia Puttrich, die da lautet „Sorgenfrei in den Urlaub dank Brüssel“. Dank Brüssel? Aha, warum das?

Oft werde die EU-Bürokratie ja wegen Vorschriften und fehlender Bürgernähe kritisiert, stellt Puttrich fest. „Aber gerade jetzt in und kurz vor der schönsten Zeit im Jahr, der Urlaubszeit, erweisen sich viele Brüsseler Rechtsvorschriften als überaus nützlich, um einen sorgenfreien Urlaub in der EU zu verbringen.“ Die stets adrett gekleidete Brünette hat dann auch ein typisch weibliches Beispiel parat. „Wenn man in Italien Schuhe kauft, die nach einmaligem Tragen kaputt gehen“, so sinniert die Ministerin, könne man aufgrund von EU-Vorschriften unbürokratisch Erstattung des Kaufpreises verlangen.

Prima, da passt es ja, dass die Ministerin Mitte August just dorthin in Urlaub fliegen will. Selbst fliegen, wohlgemerkt: Für einige Tage wolle sie mit ihrem Mann in einem einmotorigen, zweisitzigen Sportflugzeug quer über Italien fliegen. „Das ist wie eine Motorradtour, nur durch die Luft“, wie die Hobbypilotin der FAZ verriet.

Na, da lässt sich doch bestimmt bei einer Zwischenlandung in den Modemetropolen Mailand oder Rom das eine oder andere Paar schicker Schuhe erwerben . . .

Bouffier und Al-Wazir sind übrigens beide nächste Woche wieder im Dienst. Ich nicht – Barkewitz am Mittwoch macht Sommerpause.

 

Erschienen in der Frankfurter Neuen Presse vom 13. August 2014

%d Bloggern gefällt das: