Siegertypen

Absurditäten führen zu weiteren Absurditäten. Zu sehen an der 100-Prozent-Zustimmung beim SPD-Parteitag für Martin Schulz als neuem Parteivorsitzenden. Einhundert Prozent! Kein einziger der gut 600 Delegierten also, der daran zweifelte, ob „der Martin“ tatsächlich der Richtige ist? Sei es wegen fehlender inhaltlicher Tiefe oder wegen offener Rechnungen aus der Vergangenheit oder persönlicher Abneigung? Geradezu absurd! Die hessischen Sozis waren natürlich auch alle völlig aus dem Häuschen.

„100 Prozent, und das in der SPD!!! Unglaublich! Jetzt ist alles möglich!“, hyperventilierte beispielsweise der nordhessische Landtagsabgeordnete Timon Gremmels auf dem Kurznachrichtendienst Twitter direkt nach der Verkündung des Ergebnisses in Berlin, sein Fraktionsvorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel bejubelte ein „Hammerergebnis“, und dem Vize der Hessen-Jusos, Giorgio Nasseh, war wohl etwas schwindlig zumute, als er spürte, „die SPD ist am Beben“. Na, sei’s den Genossen gegönnt, hatten ja lange genug nichts zu lachen…

Absurd hingegen der Tweet zu Schulz von Karin Wolff, der Darmstädter CDU-Landtagsabgeordneten und langjährigen hessischen Kultusministerin. In bester Trump-Manier trompete sie Folgendes ins Netz: „Höre den ganzen Tag von 100%, und jetzt lese ich, das war per Akklamation?? Sowas wird bei uns in geheimer Wahl entschieden.“ Wolff unterstellt also, die Wahl sei in offener Abstimmung erfolgt und damit das einstimmige Votum nicht verwunderlich, weil unter Gruppenzwang erfolgt.

Empörung, Widerspruch und Berichtigung folgten in dem sozialen Netzwerk sofort zuhauf. Fakt ist: 605 gültige Stimmen per Wahlzettel in geheimer Abstimmung, 605 Ja-Stimmen, das ergibt nun mal 100 Prozent. Wolff, derart in die Enge getrieben, schickte daraufhin noch eine Nachricht hinterher, in der sie darauf hinwies, „von der Kandidatur war die Rede“.

War es aber nicht, siehe ihren Ursprungstweet. Von der „Kandidatur“ für das Kanzleramt war bei Wolff zuvor keineswegs die Rede. Darüber gab es aber auf dem Parteitag auch keine vergleichbar formelle Abstimmung wie für den Parteivorsitz. Mit der Anspielung auf die als Mega-Stichwort durch alle Medien geisternden „100 Prozent“ hat sie vielmehr bewusst auf die Abstimmung über den Parteivorsitz abgezielt.

Das gehört sich nicht, zu einer Gratulation muss man auch als politischer Gegner in der Lage sein. Klarer Fall von vertwittert! Vielleicht, weil verbittert? Weil bei der ebenfalls am Sonntag erfolgten Oberbürgermeisterwahl in Darmstadt Wolffs CDU nicht in der Lage war, einen eigenen Kandidaten ins Rennen zu schicken? Stattdessen hatte die dortige Union bekanntlich zur Wahl des Amtsinhabers Jochen Partsch von den Grünen aufgerufen, die mit der CDU eine Koalition bilden.

Das war, ist und bleibt ein Armutszeugnis. Kann es das Wahlziel der Volkspartei CDU sein, Juniorpartner der Grünen zu bleiben?

Am Ende des Tages waren die 50,4 Prozent von Partsch genauso gut wie die 100 Prozent von Schulz, auch wenn sie vermeintlich nur die Hälfte markieren. Doch der Grüne hat sich damit immerhin gleich im ersten Wahlgang gegen acht Gegenkandidaten durchgesetzt.

Glückwunsch also an beide Wahlsieger von hier aus. So gehört sich das. Und nicht anders.

 

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 22. März 2017

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