Nah am Menschen

Ganz schön was los dieser Tage in Hessen, was? Man weiß gar nicht, wo man hinschauen oder besser noch hinfahren soll: In Kassel hat die Documenta ihre Pforten geöffnet, in Rüsselsheim läuft der Hessentag. Machen Sie es doch wie unser Bundespräsident, liebe Leser, besuchen Sie einfach beides! Am Samstag war Frank-Walter Steinmeier in Kassel und hat die gemeinhin als bedeutendste zeitgenössische Kunstausstellung der Welt bezeichnete Schau eröffnet. Solch Superlative haben die CDU-Landesregierenden seit jeher begeistert, und deswegen lächelten natürlich auch Ministerpräsident Volker Bouffier und Kunstminister Boris Rhein in die Kameras. „Die Kunst hat Vorrang, und das ist gut“, verkündete das Staatsoberhaupt staatsmännisch – und drehte danach die „Mühle des Blutes“.

Um Himmels Willen, die „Mühle des Blutes“? Nun, das ist mitnichten eine Produktionsmaschine zur Herstellung der großartigen dortigen Fleischspezialität, der nordhessischen Ahlen Wurscht, sondern das Werk eines mexikanischen Künstlers, das den Nachbau einer Sklavenmühle darstellen soll. Schaurig! Steinmeier gefiel’s: Die Documenta sei mutig, „eine politische Ausstellung“.

Nur fürs Protokoll: Kassel war nicht Bestandteil des Antrittsbesuchs des Bundespräsidenten. Der begann erst am Montag mit Stationen in Bad Homburg, Gießen und Wiesbaden. „Hessen steht in den Startlöchern und bereitet einen würdigen Empfang nah am Menschen“, versprach Regierungssprecher Michael Bußer. „Nah am Menschen“ – das ist wohl die hochdeutsche Variante von „nah bei die Leit“, die einst ein anderer großer Sozialdemokrat ausgab: Kurt Beck, früherer Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und glückloser SPD-Vorsitzender. Beck war so dermaßen „nah bei die Leit“, dass damals böse Zungen spöttelten, es gäbe keine Hand in Rheinland-Pfalz, die er nicht geschüttelt hätte. Dieses herausfordernde Pensum war für Steinmeier in Hessen nicht vorgesehen. Er werde auf der Tour durch sechs Städte „in Kontakt mit rund 500 Bürgerinnen und Bürgern kommen“, hieß es vorab aus der Staatskanzlei. Zum Glück für Steinmeiers Grußhand.

Gestern folgten am zweiten Besuchstag Bensheim, Darmstadt und Rüsselsheim. Rüsselsheim und der Hessentag. Wie praktisch, dass gerade während des großen Landesfests der Bundespräsident zugegen war! Eine Rede vor Bürgermeistern und Landräten auf einer „Kommunalkonferenz“ stand dort für ihn auf dem Programm.

Wie öde. Gibt doch viel Schöneres: Umweltministerin Priska Hinz hat extra die Sonderschau „Der Natur auf der Spur“ eingerichtet, die „anschaulich die Naturschätze der Hessentags-Stadt und der Region“ zeigen soll. Oder der „Muster-Haftraum“ von Justizministerium Eva Kühne-Hörmann, in dem „erfahrene Justizvollzugsbeamte“ über ihre Arbeit berichten und für eine Ausbildung im Justizvollzug werben sollen. Oder das „Polizei-Bistro“ von Innenminister Peter Beuth, in dem Hessens Polizei „unter einem Dach zeigt, wie viel Kreativität und Gastfreundschaft in ihr stecken“. Steht wirklich so in der Einladung, liebe Leser! Mit der Polizeiwache verbinde ich jetzt nicht unbedingt „Gastfreundschaft“, aber die Geschmäcker sind ja verschieden. Soll aber laut Beuth dort auch „Live-Musik und Comedy-Aufführungen“ geben. Nur so als Tipp für Steinmeier, falls er noch etwas Spaß sucht …

 

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 14. Juni 2017

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