Bundes-Biblis-Spiele

Ach, waren das Zeiten, als ich noch zu den Bundesjugendspielen durfte! Jawohl, durfte! Ich habe mich damals gefreut, dass kein Unterricht war. Und heute? Kommt so eine Mutter daher, die den ganzen Tag über Belanglosigkeiten über einen Kurznachrichtendienst zwitschert, und will die Spiele abschaffen, weil ihr Sohn nur eine Teilnehmerurkunde erhalten hat.

Zum wahnsinnig werden, oder?

Die Frau will nach eigener Aussage keine „überbehütende Helikopter-Mutter“ sein, aber genau das ist sie natürlich. „Heulender Sohn kommt mit Teilnehmerurkunde von den Bundesjugendspielen heim. Erwäge Petition zur Abschaffung selbiger. Ernsthaft.“, so lautete ihr Beitrag auf Twitter.

Ja, und dann? Schaffen wir eben einfach die Bundesjugendspiele ab, oder was? Wie wäre es damit, den Knaben einfach mal zu trösten, nach dem Motto „dann biste halt gut in Musik oder Mathe“, oder was auch immer. Oder mit dem Jungen mal etwas mehr Sport zu üben?

Nein, immer gleich abschaffen. Und in der heutigen Zeit finden sich auch immer gleich Tausende im Internet, die sofort mitgrölen. Was ist denn, wenn der Sohn nun mit einer Fünf in Mathe heimkommt – und deswegen heult? Ja klar, Mathe auch abschaffen! Eine entsprechende Petition fände ebenfalls sofort Tausende Befürworter, wetten?

Kultusministerkonferenz und Lehrergewerkschaften, sonst meist eher überkreuz, sind sich in diesem Fall einig, den „spielerischen Wettbewerb“ und „vielseitigen Mehrkampf“ beizubehalten. „Kurzsichtig“ und „albern“, sei die Forderung nach Abschaffung, urteilt der Deutsche Philologenverband. Genau!

„Die Frage zum Umgang mit Misserfolgen stellt sich natürlich nicht nur bei den Bundesjugendspielen, sondern bei allen Schulfächern“ – damit bringt es die Deutsche Sportjugend mit Sitz in Frankfurt auf den Punkt.

Ich verrate Ihnen jetzt was, liebe Leser. Ich bin seinerzeit einige Male ganz knapp an einer Ehrenurkunde vorbeigeschrammt – des blöden Schlagballweitwurfs wegen, wie das damals hieß. Da war ich auch sehr traurig. Meine Mutter war nur nicht verständnisvoll genug, die Abschaffung der Bundesjugendspiele zu fordern . . .

Im Landtag wurden am Freitag eher die Bundes-Biblis-Spiele gegeben:
⋅ Die Teilnehmer: Ministerpräsident Volker Bouffier, die seinerzeitige Umweltministerin Lucia Puttrich und die Mitglieder des Untersuchungsausschusses.
⋅ Die Disziplinen: Verantwortung abschieben („der Bund war’s“), Vergessen („kann mich nicht erinnern“) und Verpfuschen (fehlende RWE-Anhörung).

Dafür gibt es definitiv keine Ehrenurkunde. Auch keine Siegerurkunde. Nur eine Teilnehmerurkunde. Zum Heulen ist das. Sollen wir den U-Ausschuss abschaffen? Erwäge Petition, ernsthaft!

Ob sich Mathias Wagner heute eine Urkunde verdienen wird, steht noch in den Sternen. Der Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen will nämlich in Wetzlar einen „Einblick in den Alltag von Auszubildenden zum Fahrzeuglackierer“ erhalten und – jetzt kommt’s – dabei auch selbst lernen, ein Werkstück zu lackieren.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird Wagner wohl die Farbe Grün wählen, was? Oder er nimmt Schwarz-Grün, denn an selbiger Koalition, so behaupten böse Zungen – also nicht ich –, blättere ja schon etwas der Lack ab.

 

Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 1. Juli 2015

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