300 Jahre lang steht der Mann nun schon nackt in der Gegend rum, seit 300 Jahren zeigt der Kerl unbeeinflusst von allen Moden und Befindlichkeiten des Zeitgeists der Stadt, dem Land und der Welt seinen blanken Hintern und Gemächt. Bis, ja bis die bösen Amis von Facebook jüngst ihre üblichen bigotten Bedenken gegen die Blöße des Herrn Herkules von und zu Kassel verkündeten. Ein „anstößiger Inhalt“ sei das Gesäß der griechischen Heldenstatue befanden die Zensoren des sogenannten sozialen Netzwerks und sperrten Bilder einer Imagekampagne der örtlichen Marketinggesellschaft, die mit dem Herkules für Nordhessen werben wollte.
Die Reaktion der Kasseler Werber war clever – dem Helden per Fotobearbeitung fix eine rote Badehose um die Hüften gelegt und gar nicht erst mit den Facebook-Inquisitoren herumdiskutiert. Wie soll man auch ernsthaft mit denen reden? Gewalt in Wort und Bild passiert dort mühelos die Schranken, aber die kleinste Spur von Nacktheit löst sofort höchsten Prüderie-Alarm aus.
Jetzt wollen Bund und Länder Facebook und Co. ja per Gesetz verpflichten, sich stärker gegen Hass auf ihren Plattformen einzusetzen. „Netzwerk-Durchsetzungsgesetz“ heißt das Ganze, und das findet Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann durchaus „im Grundsatz richtig“. Die CDU-Dame muss allerdings prinzipiell doch etwas daran herumnörgeln, weil es ja von der SPD kommt, von Bundesjustizminister Heiko Maas: Dem Gesetzentwurf sei an vielen Stellen anzusehen, dass er lustlos und überhastet erstellt worden sei.
Sei’s drum, die Zwangsverhüllung des Wahrzeichens ihrer Stadt hat die Kasselanerin aber auch nachhaltig empört. Wenn Facebook doch sofort den hüllenlosen Herkules sperren könne, müsse es denen doch auch in Sachen Hass und Hetze gelingen, ihre eigenen Richtlinien technisch und weltweit durchzusetzen: „Es ist am Ende doch eine Sache des Wollens, nicht eine Sache des Könnens, wenn beleidigende, volksverhetzende oder diskriminierende Inhalte nicht schnell aus den sozialen Medien entfernt werden“, schlussfolgert die Ministerin angesichts der Posse.
Am Pfingstwochenende haben die Kasseler Bürger nun den 300. Geburtstag des Neun-Meter-Mannes aus Kupfer im Welterbe Bergpark Wilhelmshöhe gefeiert. Da stand er nackt auf seiner Säule wie es sich seit jeher gehört, und eine junge Besucherin befand anerkennend ins Mikrofon eines Fernsehteams, er habe einen „Knackarsch“.
Der wird ganz sicher auch unverhüllt bleiben, wenn am Samstag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Kassel zur Eröffnung der Documenta kommt. Nicht so wie in Rom, wo im Januar vergangenen Jahres beim Staatsbesuch des iranischen Präsidenten Rohani mehrere nackte Skulpturen auf dem Kapitol verhüllt wurden. Vermeintlich aus Rücksicht auf den Glauben des muslimischen Herrn.
Am kommenden Dienstag wird Steinmeier dann zum Hessentag nach Rüsselsheim reisen. Dort gibt es auch eine große Statue, aber die ist wohl selbst für die Facebook-Sittenwächter völlig harmlos: Der drei Meter hohe Adam Opel aus Bronze trägt ganz unverfänglich Anzug und Mantel. Die rote Badehose kann im Schrank bleiben …
Erschienen Frankfurter Neue Presse vom 7. Juni 2017